Mit dem Buchdruck erschien eine Flut an ungebetener Literatur, aufgrund derer sich die katholische Kirche gezwungen sah, mit dem Index Librorum Prohibitorum ein Verzeichnis verbotener Bücher zu erstellen. Auf dieser erstmals im Jahr 1559 erstellten Liste fanden sich insgesamt 550 Autoren wieder, darunter auch ein Zeitgenosse Luthers, der sich für religiöse Fragen überhaupt nicht interessierte. Niccolò Machiavelli war vielmehr daran gelegen, Herrschern Verhaltensregeln an die Hand zu geben, die dem Machterwerb und -erhalt dienen sollten. Für einen Vorrang des Glaubens blieb dabei kein Platz, statt dessen reduzierte sich Religiösität auf ein brauchbares Instrument, um sich die Gunst des Volkes zu sichern:
„Ein Herrscher muss also sehr darauf bedacht sein, daß (…) jeder, der ihn sieht oder hört, den Eindruck hat, als sei er die Milde, Treue, Redlichkeit, Menschlichkeit und Gottesfurcht in Person. Besonders notwendig ist es, den Eindruck zu erwecken, daß er gerade die letztere Tugend besäße. (…) Jeder sieht, was du scheinst, und nur wenige fühlen, was du bist.“ (Machiavelli 1978, S. 73f)
Am 3. Mai 1469 geboren, erlebte Machiavelli in Diensten seiner Heimatstadt eine Welt, in der mit allen Mitteln um Macht gerungen wurde. Als Vertreter der kleinen italienischen Republik Florenz traf er den erwähnten Papst Leo X. ebenso wie den französischen König Franz I., denn die wirtschaftlich aufblühenden Handelsstädte Norditaliens waren zwischen die Fronten des Konflikts dieser beiden europäischen Schwergewichte geraten. Dabei ging es nicht um moralische oder religiöse Meinungsverschiedenheiten, sondern allein um die Vorherrschaft in Italien. Florenz stellte sich unter maßgeblicher diplomatischer Beteiligung Machiavellis auf die Seite des traditionell befreundeten Frankreich. Nachdem der Papst die Großmacht Spanien für ein Bündnis zu gewinnen vermochte, fand sich die italienische Stadtrepublik auf der Verliererseite wieder. 1512 musste sie sich unterwerfen und der Papst konnte Angehörigen seiner Familie in der Heimatstadt Florenz zur Regentschaft verhelfen.
Machiavelli wurde in diesem Zuge seines Amtes enthoben und eine Rückkehr in die Dienste der Stadt blieben ihm bis an sein Lebensende verwehrt. Denn die Medici lösten die Ratsversammlung der Bürger auf und verwandelten Florenz mitsamt Umland in das Herzogtum Toscana, wo sie über 200 Jahre an der Macht blieben. Ihre Einsetzung als Herren verdankten sie ganz offensichtlich nicht ihrer Abstammung, denn die Medici waren keineswegs adligen Geblüts, und auch nicht ihrer Religiösität, nicht ihrem Rückhalt beim Volk, nicht ihrer militärischen Stärke und nicht ihren Verdiensten für die Allgemeinheit, sondern ihrem Willen zur Macht einschließlich geschickter Bündnisse zur rechten Zeit mit denen sie unter anderem durch Bankgeschäfte zu großem Reichtum gekommen waren. Das alles erlebte Machiavelli hautnah und seine Erfahrungen ließen ihn feststellen, dass sich nicht das Gute, nicht das Fromme und nicht das Schöne durchsetzt, sondern machtbewusste Drahtzieher, die der tatsächlichen Verteilung der Kräfteverhätnisse ins Auge blicken:
„Viele haben sich Vorstellungen von Freistaaten und Alleinherrschaften gemacht, von denen man in Wirklichkeit weder etwas gesehen noch gehört hat, denn zwischen dem Leben, wie es ist, und dem Leben, wie es sein sollte, ist ein so gewaltiger Unterschied, daß derjenige, der nur darauf sieht, was geschehen sollte, und nicht darauf, was in Wirklichkeit geschieht, seine Existenz viel eher ruiniert als erhält. Ein Mensch, der immer das Gute möchte, wird zwangsläufig zugrunde gehen inmitten von so vielen Menschen, die nicht gut sind. Daher muß sich ein Herrscher, wenn er sich behaupten will, zu der Fähigkeit erziehen, nicht allein nach moralischen Gesetzen zu handeln sowie von diesen Gebrauch oder nicht Gebrauch zu machen, je nachdem es die Notwendigkeit erfordert. Ich lasse also alles beiseite, was über Herrscher zusammenphantasiert wurde, und spreche nur von der Wirklichkeit.“ (ebd. S. 63)
Solche Worte waren es, die Machiavelli einen schlechten Ruf eintrugen, von dem er selbst allerdings nichts mehr erfahren sollte, denn seine Schrift Der Fürst (italienisch: Il Principe) wurde erst 1532 und damit fünf Jahre nach seinem Tod veröffentlicht. Unter Machiavellismus verstand man aber schon bald eine Haltung, die sich weder um gut oder böse noch um Gott oder Moral scherte, sondern der es allein darum ging, die eigene Macht zu maximieren. Damit schaffte es der Autor nicht nur auf den besagten Index der katholischen Kirche, sondern galt fortan auch als Vordenker machtgieriger und tyrannischer Herrscher. Und tatsächlich gab er Empfehlungen, die nicht zimperlich sind:
„Ein Herrscher darf sich also um den Vorwurf der Grausamkeit nicht kümmern, wenn er dadurch seine Untertanen in Einigkeit und Ergebenheit halten kann.“ (ebd. S. 68)
Steht die Moral der Abwehr von Tyrannen im Wege?
Man würde aber Machiavelli einer ihm wichtigen Botschaft berauben, wenn man es dabei beließe, ihn zu verteufeln. Denn man darf nicht aus den Augen verlieren, welches Ziel der Florentiner mit seinen Büchern verfolgt hat. Zugegeben, Machiavelli schreckt vor nichts zurück, aber dahinter steht nicht einfach der Wunsch nach einer Schreckensherrschaft:
„Gut angewandt kann man grausame Mittel nur nennen – wenn es überhaupt erlaubt ist, etwas Schlechtes gut zu heißen -, wenn man sie auf einmal anwendet und nur aus der Notwendigkeit heraus, um sich zu sichern, dann aber nicht damit fortfährt und sie jedenfalls zum größtmöglichen Nutzen der Untertanen wendet.“ (ebd. S. 38)
Machiavelli ruft also nicht grundsätzlich zu Grausamkeiten auf, sondern kommt aufgrund seiner Erfahrungen zu dem Schluss, dass manchmal grausame Mittel zur Sicherung der Herrschaft notwendig sind, um anchließend im Sinne des Gemeinwohls handeln zu können. Beständigkeit in der Regierung sieht er als Voraussetzung dafür an, dass die Menschen ihren Geschäften nachgehen können. Herrschaft ist also nicht selbst das Ziel, sondern ähnlich wie bei Aristoteles die Grundlage für das eigentlich gewünschte Ergebnis: ein friedliches Zusammenleben. Der Realpolitiker aus der Stadt der Medici rechtfertigt nicht einfach das Verhalten von Tyrannen, vielmehr ist er sich dessen bewusst, dass auch eine wohlwollende Regierung nur dann Bestand haben kann, wenn sie sich gegen mögliche Diktatoren zu behaupten vermag. Das aber kann sie seiner Meinung nach nur, indem sie notwendige Schritte nicht von vornherein aus moralischen Gründen ausschließt, sondern im vollen Bewusstsein ihrer Verantwortung anwendet. Unter Moral verstand Machiavelli dabei übrigens all das, was einen guten Ruf einbringt, weshalb man auf jeden Fall möglichst den Anschein vorbildlichen Verhaltens wahren soll:
„So muß ein Herrscher milde, treu, menschlich, aufrichtig und fromm scheinen und er soll es gleichzeitig auch sein; aber er muß auch die Seelenstärke besitzen, im Fall der Not alles ins Gegenteil wenden zu können. Man muß Verständnis dafür haben, daß ein Herrscher, und vor allem ein solcher in einer neu gegründeten Herrschaft, nicht alles beachten kann, wodurch die Menschen in einen guten Ruf kommen, sondern oft gezwungen ist, gegen Treue, Barmherzigkeit, Menschlichkeit und Religion zu verstoßen, eben um die Herrschaft zu behaupten. Darum muß er die Seelenstärke haben, sich nach den Winden des Glücks und dem Wechsel der Verhältnisse zu richten und, wie ich oben sagte, vom Guten so lange nicht abzugehen, als es möglich ist, aber im Notfall auch verstehen, Böses zu tun.“ (ebd. S. 73)
Dabei dachte Machiavelli möglicherweise auch an die Behauptung des Christentums insgesamt, denn jeder Aufruf zu christlichen Prinzipien ist zum Scheitern verurteilt, wenn das Gegenüber diese nicht anerkennt. Genau das war bei den aus der Türkei stammenden, aufstrebenden Osmanen der Fall, schließlich kämpften sie im Namen des Islam gegen die Christen, so wie diese andersherum in den Kreuzzügen gegen die Muslime gezogen waren.
Wozu Politik?
Die Neuzeit war nicht mehr von religiöser Schicksalsergebenheit geprägt, sondern von Menschen die danach strebten, die Grenzen des Möglichen herauszufinden. Nicht mehr Papst und Kirche gaben fortan die Regeln des Zusammenlebens vor, sondern Fürsten, Völker und Unternehmer nahmen ihr Schicksal selbst in die Hand. Wie Machiavelli hatten viele den Glauben an die alles bestimmende Macht Gottes verloren, nicht aber jenen an die Tatkraft der Menschen
„Es ist mir nicht unbekannt, daß viele der Meinung waren und noch sind, daß die Dinge dieser Welt so sehr vom Glück und von Gott gelenkt werden, daß die Menschen mit all ihrer Klugheit nichts gegen ihren Ablauf ausrichten können, ja, daß es überhaupt kein Mittel dagegen gibt. Daraus könnte man folgern, man solle sich nicht viel mit den Dingen abquälen, sondern sich vom Zufall leiten lassen. (…) Doch da wir einen freien Willen haben, halte ich es nichtsdestoweniger für möglich, daß Fortuna zur Hälfte Herrin über unsere Taten ist, daß sie aber die andere Hälfte oder beinahe so viel uns selber überläßt.“ (ebd. S. 102f)
Machiavelli schrieb nieder, was er in seiner unmittelbaren Umgebung erlebt hat, denn die norditalienischen Städte, noch immer von der einstmals großartigen und teilweise noch nutzbaren römischen Infrastruktur schöpfend, waren keine Orte des Stillstands, sondern Zentren des Handels und die ersten Motoren moderner Wirtschaft. Der Florentiner erlebte, dass Wohlstand und Fortschritt weniger gottgegeben waren als vielmehr das Ergebnis menschlicher Arbeit. Er erkannte auch, dass dies nicht das Werk einiger weniger war, sondern die Schaffenskraft des ganzen Volkes benötigt wurde, weshalb er, dem der Ruf eines Förderers der Tyrannei anlastete, Monarchien und Aristokratien als hinderlich erachtete.
„Außerdem ist zu beobachten, daß Staaten, in denen das Volk regiert, in kürzester Zeit außerordentliche und viel größere Fortschritte machen als solche, die immer unter einem Alleinherrscher gelebt haben.“ (Machiavelli 1977, S. 152)
Das heißt allerdings nicht, dass Machiavelli Anhänger der Demokratie war, sondern er bevorzugte eine Republik in der Tradition Roms und auch seiner eigenen Heimatstadt, wo das Volk eingebunden ist, aber die vornehmsten Familien über den größten Einfluss verfügen. In der zweiten, weniger bekannten großen Schrift Machiavellis, den Discorsi, wird deutlich, dass es dem Florentiner nicht einfach darum ging, unabhängig von seiner Verwendung Herrschaftswissen bereitzustellen. Ganz gemäß dem Erfolgsrezept, mit dem die kleinen italienischen Republiken sich in Europa über Jahrhunderte zu behaupten vermochten, standen vielmehr Wohlstand, Fortschritt und auch die „Vorsorge für den Schutz der Freiheit“ (Machiavelli 1977, S. 21) im Vordergrund. Der Florentiner hat seine Republik immer verteidigt und drängt man seinen schlechten Ruf einen Moment beiseite, dann scheint es geradezu so, als wollte er aufrechten Republikanern Hilfestellung geben, damit sie nicht den Medici oder anderen machtgierigen Usurpatoren auf den Leim gehen. Denn die hatten die üblen Tricks ohnehin schon drauf und bedurften seiner Nachhilfe nicht. Die Republik aber muss sich vor ihren verschlagenen Feinden schützen, weshalb gilt,
„daß der, welcher einem Staatswesen Verfassung und Gesetze gibt, davon ausgehen muß, daß alle Menschen schlecht sind und daß sie stets ihren bösen Neigungen folgen, sobald sie Gelegenheit dazu haben.“ (ebd. S. 17)
Zum edlen Verteidiger der guten Sache taugt Machiavelli aber dann doch nicht, denn letztlich steht der politische Erfolg, die Selbstbehauptung über allem,
„denn wenn man alles genau betrachtet, so wird man finden, daß manches, was als Tugend gilt zum Untergang führt, und daß manches andere, das als Laster gilt, Sicherheit und Wohlstand bringt.“ (Machiavelli 1978, S. 64)
Wegen solcher Sätze wurden die Schriften Machiavellis von der katholischen Kirche verboten. Von jener Kirche also, die den Sturz der florentinischen Republik herbeiführte und den gerissenen Medici zur Macht verhalf. Aufstieg und Regentschaft verdankte diese Familie wiederum genau jenen Machenschaften, die Machiavelli als Vorlage für seine Schriften dienten. Letztlich hat die katholische Kirche selbst nicht zu knapp zu einer Welt politischer Ränkespiele beigetragen, deren Beschreibung durch einen florentinischen Diplomaten sie dann später verbieten ließ. Man könnte daher vermuten, dass die Gründe für die Verteufelung Machiavellis weniger in dessen moralischer Gleichgültigkeit zu suchen sind, als vielmehr in dessen nüchterner Abtrennung politischer Fragen von Glaubensgrundsätzen. Bislang war das Gemeinwesen im Diesseits nur ein Nebenschauplatz von Augustinus‚ Reich Gottes im Jenseits gewesen. Eine politische Welt unabhängig von der religiösen Welt? Unmöglich, skandalös und nicht zuletzt gefährlich für die Macht der katholischen Kirche – beinahe schlimmer noch als Luther, der wenigstens alles noch der Religion unterordnete. Heute hingegen gilt es gerade umgekehrt als skandalös, wenn die Staatsführung religiösen Vorgaben folgen würde. Wie von Machiavelli gefordert, trennen moderne Demokratien Staat und Kirche.
Mehr in:
Hubertus Niedermaier:
Wozu Demokratie?
Politische Philosophie im Spiegel ihrer Zeit.
Konstanz und München: UVK 2017.
Machiavelli, Niccolò (1977): Discorsi. Gedanken über Politik und Staatsführung. Stuttgart.
Machiavelli, Niccolò (1978): Der Fürst. Stuttgart.