Weniger im Volk, sondern vor allem unter den Bessergestellten zog die französische Vorherrschaft viel Feindschaft auf sich, bedrohte sie doch zweifellos deren Status. Von den Fürsten aber konnte man keine Befreiung erwarten, da sie sich großenteils Napoléon gegenüber hörig zeigten. Blieb noch die deutsche Nation, auf die man sich berufen konnte, obwohl gar nicht klar war, was diese im sprachlich und politisch zerstückelten Mitteleuropa eigentlich umfassen könnte.
Völlig anders erlebten die Herrschaft der Franzosen andere Bevölkerungsgruppen, nämlich solche, die nicht Ehre und Privilegien bedroht sahen, sondern von der Gleichberechtigung durch den Code civil profitierten. Das betraf etwa die Juden, denen damit plötzlich die gleichen beruflichen Wege offenstanden wie den Christen. Die jahrhundertelange Diskrimierung schien vorüber. Ein Jude, der die neuen Möglichkeiten nutzte, war Heinrich Marx. Aus einer Rabbinerfamilie stammend, hatte er 1814 im linksrheinischen Trier und damit zu jener Zeit auf französischem Staatsgebiet eine Tätigkeit als Anwalt aufgenommen. Doch schon im Jahr darauf geriet die Stadt nach der Niederlage Napoléons unter preußische Herrschaft und dem Juden wurde die Fortsetzung seiner Berufsausübung nur zugestanden, wenn er sich zum christlichen Glauben bekennen würde. Kurz nachdem er von der neuen religiösen Gleichberechtigung der französischen Gesetze gekostet hatte, bekam er also schon wieder die rückständige Intoleranz Preußens zu spüren.
Noch ehe der Übertritt zum evangelischen Glauben vollzogen war, erblickte sein Sohn Karl am 5. Mai 1818 das Licht der Welt. Nachdem er zuhause in Trier aufgewachsen war und sein Gymnasium abgeschlossen hatte, begann dieser wie sein Vater ein Studium der Rechtswissenschaften in Bonn, wechselte aber wenig später nach Berlin, wo Georg Wilhelm Friedrich Hegel vier Jahre zuvor gestorben war. Dort wendete sich Karl Marx der Philosophie zu und schloss sich den so genannten Linkshegelianern an, die von Hegel zwar die Dialektik, aber nicht dessen konservative Haltung übernommen hatten. Mit einem Doktor-Titel dekoriert ging der junge Philosoph in der Hoffnung auf eine Professur zurück nach Bonn. Einem Linkshegelianer jüdischer Herkunft wollte die preußische Regierung allerdings keine solche Stelle geben, weshalb Marx im Herbst 1842 die Redaktion der demokratisch gesinnten Rheinischen Zeitung übernahm. Nicht zuletzt aufgrund seiner regierungskritischen Artikel wurde die Zeitung aber schon am 1. April des Folgejahres verboten. In dieser unsicheren Situation ohne regelmäßiges Einkommen heiratete er seine Jugendliebe Jenny von Westphalen und zusammen gingen sie nach Paris. Dort beteiligte sich der Frischvermählte mit zwei Beiträgen an der 1844 einzig erscheinenden Ausgabe der Deutsch-Französischen Jahrbücher. Beide Texte blieben zunächst ohne Wirkung, aber skizzieren bereits Leitideen, mit denen Marx später die Arbeiterbewegung beleben wird. Der Aufsatz Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie fasst die Situation in Deutschland in einem Satz zusammen:
„Wir haben die Restaurationen der modernen Völker geteilt, ohne ihre Revolutionen zu teilen.“ (Marx 1974a, S. 379)
In diesem traurigen Schauspiel gesellschaftlicher Regression fällt der Religion, da sind sich alle Linkshegelianer einig, eine bedeutende Rolle zu:
„Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks. Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.“ (ebd. S. 378)
Ohne Zweifel war in Marx‘ Elternhaus die evangelische Religion eine Illusion. Schließlich musste der jüdische Glaube dort nur zurücktreten, weil der Vater sonst seine Anstellung verloren hätte. Aufgewachsen mit dieser erzwungenen Scheinheiligkeit, nahm sich Religion unweigerlich wie ein Herrschaftsinstrument aus. War nicht auch die Berufung der Fürsten auf Gottes Gnaden längst offensichtliche Illusion? Hatten diese nicht selbst im Reichsdeputationshauptschluss reihenweise kleinere Fürsten ihrer Herrschaftsrechte beraubt, ohne sich um deren gleichermaßen göttliche Gnade im Geringsten zu kümmern? Und trug nicht der wöchentliche Kirchenbesuch zur Aufrechterhaltung der längst überkommenen aristokratischen Gesellschaftsordnung bei? Die Philosophie aber, so Marx dürfe nicht bei der Analyse stehen bleiben. Hegel ebenso wie Linkshegelianer haben alle in typisch deutscher Manier in abstraktester Weise über die Wirklichkeit nachgedacht, die sich aber nur in der Praxis vollenden lasse. Und so entstand etwa zur selben Zeit die bekannte elfte These über Feuerbach:
„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern.“ (Marx 1990a, S. 7)
Marx hat tatsächlich geglaubt, dass die Philosophie von den Arbeitern in einer Form aufgegriffen werden könne, die ihnen die Selbstbefreiung ermöglichen würde. Die Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, wie Immanuel Kant sie durch Aufklärung erhofft hatte, zielte vor allem auf Entzauberung der Lebensumstände. Die Unmündigkeit der Arbeiter aber war nicht einfach selbstverschuldet, sondern das Ergebnis von Unterdrückung und Benachteiligung, die es aufzuheben galt. Dabei bräuchten Philosophie und Arbeiter sich gegenseitig, glaubt Marx.
„Wie die Philosophie im Proletariat ihre materiellen, so findet das Proletariat in der Philosophie seine geistigen Waffen, und sobald der Blitz des Gedankens gründlich in diesen naiven Volksboden eingeschlagen ist, wird sich die Emanzipation der Deutschen zu Menschen vollziehen.“ (Marx 1974a, S. 391)
Genau auf dieses Ziel arbeitete Marx hin, zuvor musste er aber noch ein Wortgefecht mit einem anderen Linkshegelianer austragen. Bruno Bauer hatte behauptet, dass die Juden – und zwar nur die Juden – ihre Religion aufgeben müssten, wenn sie im christlichen Staat emanzipiert leben wollten, weil ansonsten ihre religiösen Gesetze zu den staatlichen im Widerspruch stünden. Darauf antwortet Marx im zweiten Aufsatz Zur Judenfrage dahingehend, dass Emanzipation viel weiter gehen müsse, der Staat müsse sich von jeder Religion auch von der christlichen emanzipieren. Aber selbst wenn sich der Staat von der Religion losgesagt hat, dann haben sich deshalb noch nicht die Menschen davon befreit.
„Die politische Emanzipation des Juden, des Christen, überhaupt des religiösen Menschen, ist die Emanzipation des Staats vom Judentum, vom Christentum, überhaupt von der Religion. In seiner Form, in der seinem Wesen eigentümlichen Weise, als Staat emanzipiert sich der Staat von der Religion, indem er sich von der Staatsreligion emanzipiert, d. h., indem der Staat als Staat keine Religion bekennt, indem der Staat sich vielmehr als Staat bekennt. Die politische Emanzipation von der Religion ist nicht die durchgeführte, die widerspruchslose Emanzipation von der Religion, weil die politische Emanziaption nicht die durchgeführte, die widerspruchslose Weise der menschlichen Emanzipation ist. Die Grenze der politischen Emanzipation erscheint sogleich darin, daß der Staat sich von einer Schranke befreien kann, ohne daß der Mensch wirklich von ihr frei wäre, daß der Staat ein Freistaaat sein kann, ohne daß der Mensch ein freier Mensch wäre.“ (Marx 1974b, S. 353)
Selbst wenn der Staat sich also von einer religiösen Festlegung lossagt, wird Religion allein dadurch noch nicht unbedeutend, so lange die Menschen sich nicht davon lossagen. Nur weil sich der Staat zurückzieht, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass die Bürger weniger einschränkenden Kräften ausgesetzt sind. Gerade Religionsgemeinschaften üben auch ohne staatliche Unterstützung unter Umständen gewaltigen Druck auf die Menschen aus. Unterschiede der Religion, aber auch des Standes, der Kultur, der Bildung und des Vermögens verschwinden nicht einfach, wenn sich die Obrigkeit darum nicht mehr kümmert. Der zurückhaltende Staat, wie ihn sich die Liberalen vorstellen, bringt deshalb keine Befreiung mit sich, sondern lediglich eine Entpolitisierung gesellschaftlicher Ungleichheiten.
„Der Staat hebt den Unterschied der Geburt, des Standes, der Bildung, der Beschäftigung in seiner Weise auf, wenn er Geburt, Stand, Bildung, Beschäftigung für unpolitische Unterschiede erklärt, wenn er ohne Rücksicht auf diese Unterschiede jedes Glied des Volkes zum gleichmäßigen Teilnehmer der Volkssouveränität ausruft, wenn er alle Elemente des wirklichen Volkslebens von dem Staatsgesichtspunkt aus behandelt. Nichtsdestoweniger läßt der Staat das Privateigentum, die Bildung, die Beschäftigung auf ihre Weise, d. h. als Privateigentum, als Bildung , als Beschäftigung wirken und ihr besonderes Wesen geltend machen.“ (ebd. S. 354)
Wenn die Politik sich nicht einmischt, dann können die Reichen ihre ökonomische Überlegenheit ausspielen, die Angehörigen einer Mehrheitsreligion Andersdenkende ausgrenzen, die Gebildeten den Ahnungslosen gegenüber ihre Kenntnisse ausnutzen oder die Adligen durch Heiratsregeln ihre Privilegien sichern. Wenn man Staatliches und Gesellschaftliches voneinander abtrennt, dann werden die Menschen laut Marx in ein Doppelleben gezwungen. Als Mitglieder des Staates sind sie einerseits Teil eines großen Gemeinsamen, als Mitglieder der Gesellschaft dagegen suchen sie gegenüber ihren Mitbürgern den individuellen Vorteil.
„Wo der politische Staat seine wahre Ausbildung erreicht hat, führt der Mensch nicht nur im Gedanken, im Bewußtsein, sondern in Wirklichkeit, im Leben ein doppeltes, ein himmlisches und ein irdisches Leben, das Leben im politischen Gemeinwesen, worin er sich als Gemeinwesen gilt, und das Leben in der bürgerlichen Gesellschaft, worin er als Privatmensch tätig ist, die anderen Menschen als Mittel betrachtet, sich selbst zum Mittel herabwürdigt und zum Spielball fremder Mächte wird.“ (ebd. S. 354f)
Genau diese Sonderung der Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft ist jene Freiheit, die den Liberalen vorschwebt. Sie wollen, dass jeder für sich nach seinem Erfolg streben können soll, was für Marx jedoch zugleich bedeutet, dass man nicht gemeinsam nach Erfolg strebt. Er vermutet, dass die schizophrene Anordnung von politischem Gemeinwesen einerseits und Gesellschaft der Sonderlinge andererseits letztlich nur zur Sicherung des Eigentums dient. Vollmundig soll der liberale Staat mit all seinen Mitgliedern den Besitz eines jeden garantieren. Was sich nach einem Versprechen für alle anhört, schließt zumal im 19. Jahrhundert jene großen Volksmassen aus, die schlicht nichts besitzen. Indem der Staat sich aus der Eigentumsverteilung heraushält, aber die bestehenden Verhältnisse verteidigt, verteidigt er die Besitzenden gegen die Besitzlosen und eine vormals unerhörte Aneignung gegen ihre Revision.
„Aber das Menschenrecht der Freiheit basiert nicht auf der Verbindung des Menschen mit dem Menschen, sondern vielmehr auf der Absonderung des Menschen von dem Menschen. Es ist das Recht dieser Absonderung, das Recht des beschränkten, auf sich beschränkten Individuums. Die praktische Nutzanwendung des Menschenrechts der Freiheit ist das Menschenrecht des Privateigentums.“ (ebd. S. 364)
Alle Macht dem Kapital?
Für Menschen wie Marx waren die Zustände unerträglich. Sie hatten von Gleichheit vor dem Gesetz, Redefreiheit und Demokratie gehört, erfuhren aber das Wiedererstarken der Aristokratie, der Zensur und des Absolutismus. Insbesondere der preußische Hochadel hatte einen gewaltigen Machtgewinn zu verzeichnen. Anders als während des Kriegs versprochen, schuf König Friedrich Wilhelm III. weder eine Verfassung noch ein Parlament. In den meisten anderen Ländern des Deutschen Bundes, in dem die Staaten auf dem ehemaligen Territorium des Heiligen Römischen Reiches sich lose zusammenschlossen, sah es nicht viel besser aus. Die Fürsten übten ihre Herrschaft weiterhin in feudaler Manier aus, betrieben aber zugleich eine Modernisierung von Verwaltung und Wirtschaft. Gewerbefreiheit, Freizügigkeit und Industrialisierung berührten die Lebensumstände von immer mehr Untertanen. Mit ihrer Arbeitskraft vermehrten sie die Steuereinnahmen des Staates immer weiter, blieben aber von jeder Mitbestimmung ausgeschlossen. Über die Verwendung der gesammelten Finanzkraft entschied allein der Monarch.
Aufgrund kritischer Beiträge in einer Pariser Zeitschrift für deutsche Emigranten erwirkte die preußische Regierung beim französischen König die Ausweisung von Marx, der daraufhin nach Brüssel ging. Dort gab er seine preußische Staatsangehörigkeit auf und war fortan staatenlos, um nicht sogleich von Belgien ebenfalls ausgewiesen zu werden. Noch in Paris war der Philosoph mit den dort stark vertretenen Sozialisten in Kontakt gekommen. Diese Gruppierung war ursprünglich während der französischen Revolution entstanden, weil sie sich nicht mit der Aufhebung der Standesunterschiede begnügen wollte, sondern auch die Aufhebung der Eigentumsunterschiede forderte. Davon beeinflusst formierten insbesondere deutsche Emigranten einen Bund der Kommunisten und beauftragten Marx sowie dessen Gesinnungsgesnossen Friedrich Engels mit einem Programm. Dieses erschien am 21. Februar 1848 als Manifest der Kommunistischen Partei, worin Hegels dialektische Betrachtungsweise auf die historische Entwicklung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse Anwendung findet.
„Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen. (…) Unsere Epoche, die Epoche der Bourgeoisie, zeichnet sich jedoch dadurch aus, daß sie die Klassengegensätze vereinfacht hat. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat.“ (Marx/Engels 1972, S. 462)
Engels kannte die Lebensumstände der Arbeiter aus eigener Anschauung, denn sein Vater hatte in der Nähe des preußischen Köln und im englischen Manchester Baumwollspinnereien aufgebaut. Die dortigen Arbeitsbedingungen schockierten den Sohn: insbesondere die Kinderarbeit, die häufigen Berufskrankheiten und die schlechten Wohnverhältnisse. In seiner 1845 veröffentlichten Schrift Die Lage der arbeitenden Klasse in England beschreibt Engels die erbämliche Lebenssituation der Armen und lässt dabei viele andere zu Wort kommen, darunter die aufgezeichnete Aussage eines Pfarrers aus Edinburgh vor einem religiösen Ausschuss:
„Die Leute seien ohne Möbel, ohne alles; häufig wohnten zwei Ehepaare in einem Zimmer. (…) In einem Kellerraum habe er zwei schottische Familien vom Lande gefunden (…) für jede Familie habe ein schmutziger Strohhaufen in einem Winkel gelegen, und obendrein habe der Keller, der so dunkel gewesen sei, daß man bei Tage keinen Menschen darin habe erkennen können, noch einen Esel beherbergt.“ (Engels 1990, S. 266f)
In vielen Armenvierteln lebten Familien äußerst beengt, schliefen auf dem Fußboden und hatten keine Toilette zur Verfügung. Entsetzlicher Hunger, Gestank und Ungeziefer waren allgegenwärtig. 50.000 Londoner, jeder Dreißigste, hatten keine Unterkunft. Seiner Herkunft nach selbst bürgerlich, also Bourgeois, wurde Engels Kommunist, wohl wissend, dass der Siegeszug des bürgerlichen Kapitalismus gegenüber dem aristokratischen Feudalismus aufgrund der Überlegenheit der industriellen Produktionweise über die herkömmliche unabänderlich war. Trotz ihrer monarchistischen Oberfläche betrachteten Marx und Engels die modernen Staaten längst als dem Kapital hörig:
„Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet. Die Bourgeoisie hat in der Geschichte eine höchst revolutionäre Rolle gespielt. Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen, als das nackte Interesse, als die gefühllose ‚bare Zahlung‘. “ (Marx/Engels 1972, S. 464)
Die Restauration nach den napoleonischen Kriegen bezog sich nur auf die politischen Verhältnisse. Sie brachte den Adel zurück an die Macht. Nichtsdestotrotz wurde in den meisten deutschen Staaten wirtschaftlich einen Modernisierungskurs eingeschlagen. Die mit der Gewerbefreiheit freigestellte Berufswahl hob den Zunftzwang auf, der bisher die Zahl derjenigen beschränkt hatte, die zur Ausübung eines Handwerks berechtigt waren und sich somit gegenseitig Konkurrenz machen konnten. Zusätzlich angefeuert durch den Bevölkerungszuwachs erfuhren die Handwerksberufe entsprechend großen Zulauf. Infolgedessen konnte die Mehrheit der Handwerksbetriebe in der Stadt seine Inhaber kaum ernähren und die reichlich überzähligen Gesellen hofften verzweifelt auf Anstellung in den allmählich errichteten Fabriken. Zugleich entzog die sogenannte Bauernbefreiung den Adligen einen Teil des Grundbesitzes. Gegen langwierige Entschädigungszahlungen konnten die Bauern den von ihnen bewirtschafteten Boden zum Eigentum erwerben, das damit auch frei verkäuflich wurde. Wenn wirtschaftliche Schwierigkeiten dann tatsächlich zum Verkauf zwangen, landete das Land freilich bei denjenigen, die es sich leisten konnten, und das waren allzu oft wieder Adlige und reiche Unternehmer. Zugleich konnte durch Wegfall der Schollenbindung die Heimat verlassen werden, sodass die stark steigende Zahl derjenigen, die kein oder nur wenig Land besaßen, nach dem Niedergang des Verlagswesens auf der Suche nach Arbeit umherstreiften. Die Zustände waren derart jämmerlich, dass sogar preußische Ökonomen in den 1840er Jahren mehr als der Hälfte der Bevölkerung eine „überwiegend dürftige und haltlose Existenz“ (nach Wehler 1987, S. 168) attestierten. Die Mehrheit der Menschen lebte von der Hand in den Mund und fristete nur mit äußerster Mühe ihr trauriges Dasein. Der Rede von der Restauration zum Trotz war die Jahrhunderte währende Ständegesellschaft in Auflösung begriffen und die ganze Gesellschaft von einem grundlegenden Wandel erfasst. Selbst die staatliche Verwaltung war längst vom Adel an ein professionelles Beamtentum übergegangen. Allein die politische Macht und die militärische Führung lag noch immer in Fürstenhand. Die Restauration schlug sich nur oberflächlich nieder, darunter aber, so wirkte es auf Marx und Engels, gab das Bürgertum längst den Ton an. Unwiderstehlich habe der Kapitalismus den ganzen Globus erfasst. Denn den niedrigen Preisen der kapitalistischen Produktionsweise halte nichts und niemand stand.
„Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterten Kommunikationen alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhaß der Barbaren zur Kapitulation zwingt. Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen; sie zwingt sie, die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen, d. h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem Bilde.“ (ebd. S. 466)
Die Verlierer dieser kapitalistischen Erfolgsgeschichte sind aber die Arbeiter, die unter erbärmlichen Bedingungen in den Fabriken schuften müssen. Deren Ausbeutung wollen Marx und Engels beenden, was ihnen nur durch Überwindung der bürgerlichen Gesellschaftsform möglich erscheint. Das Privateigentum, dessen Garantie sich die Besitzenden in den Jahrhunderten zuvor erst gegen die Verfügungsgewalt der Fürsten mühsam erstritten hatten, solle aufgehoben werden.
„Was den Kommunismus auszeichnet, ist nicht die Abschaffung des Eigentums überhaupt, sondern die Abschaffung des bürgerlichen Eigentums. Aber das moderne bürgerliche Privateigentum ist der letzte und vollendetste Ausdruck der Erzeugung und Aneignung der Produkte, die auf Klassengegensätzen, die auf der Ausbeutung der einen durch die anderen beruht. In diesem Sinn können die Kommunisten ihre Theorie in dem einen Ausdruck: Aufhebung des Privateigentums, zusammenfassen.“ (ebd. S. 475)
Die Grundlage jeder industriellen Produktion und damit auch jeder Ausbeutung der Proletarier in den Fabriken liegt für Marx und Engels in den großen Unterschieden bei den Besitzverhältnissen begründet. Erst die Bündelung des Kapitals in den Händen weniger ermöglicht die Produktionsweise und die Herrschaft des Bürgertums, wogegen die Arbeitermassen zerstreut und ohnmächtig sind. Das wollen die Kommunisten ändern:
„Auf Deutschland richten die Kommunisten ihre Hauptaufmerksamkeit, weil Deutschland am Vorabend einer bürgerlichen Revolution steht und weil es diese Umwälzung unter fortgeschritteneren Bedingungen der europäischen Zivilisationen überhaupt, und mit einem viel weiter entwickelten Proletariat vollbringt als England im siebenzehnten und Frankreich im achtzehnten Jahrhundert, die deutsche bürgerliche Revolution also nur das unmittelbare Vorspiel einer proletarischen Revolution sein kann. (…) Die Kommunisten arbeiten endlich überall an der Verbindung und Verständigung der demokratischen Parteien aller Länder. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ (ebd. S. 493)
Mehr in:
Hubertus Niedermaier:
Wozu Demokratie?
Politische Philosophie im Spiegel ihrer Zeit.
Konstanz und München: UVK 2017.
Engels, Friedrich (1990): Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Nach eigner Anschauung und authentischen Quellen; S. 225-506 in: Marx, Karl / Engels, Friedrich: Werke. Band 2. Berlin.
Marx, Karl (1974a): Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie; in: Marx, Karl / Engels, Friedrich: Werke. Band 1; Berlin, S. 378-391.
Marx, Karl (1974b): Zur Judenfrage; in: Marx, Karl / Engels, Friedrich: Werke. Band 1; Berlin, S. 347-377.
Marx, Karl (1990a): Thesen über Feuerbach; in: Marx, Karl / Engels, Friedrich: Werke. Band 3; Berlin, S. 5-7.
Marx, Karl / Engels, Friedrich (1972): Manifest der Kommunistischen Partei; in: Marx, Karl / Engels, Friedrich: Werke. Band 4; Berlin, S. 459-493.
Marx, Karl / Engels, Friedrich (1990): Die deutsche Ideologie; in: Marx, Karl / Engels, Friedrich: Werke. Band 3; Berlin, S. 5-7.