Liebe Spiegel-, Süddeutsche-, Zeit-, FAZ- und Golem-Redaktionen,
Bisher versuchten nur kleinere Webseitenbetreiber, all jenen Besuchern ein schlechtes Gewissen zu machen, die einen Werbeblocker installiert haben. Nun rufen aber auch Sie dazu auf, dass man doch bitte seinen Werbeblocker abschalten solle (wobei der Aufruf nur noch bei spiegel.de und golem.de auffindbar ist). Ansonsten, so wird behauptet, könnten Sie Ihr kostenloses Internet-Angebot nicht aufrecht erhalten, da Sie sich über Werbung finanzieren.
Wenn sich so namhafte Einrichtungen mit solch geballtem journalistischen Sachverstand zu einem Aufruf zusammentun, dann müssen wohl auch Menschen wie ich, die täglich in Ihren kostenlosen Inhalten stöbern und einen Werbeblocker installiert haben, sich Gedanken machen. Sie meinen also, ich soll surfen wie früher. Ich soll deutlich länger warten, bis eine Seite geladen ist, um dann bestenfalls oben und an der Seite knallbunte, bewegte Werbung zu sehen, die mich nicht interessiert. Schlimmstenfalls legen sich Werbebalken quer über die Seiten und überall blinkt und hüpft es. Im Gegenzug, sagen Sie, bieten Sie Ihre Seiten kostenlos an und verzichten auf besonders nervende Werbeformen.
Es klingt wie ein faires Tauschgeschäft. Es ist aber keines! Wenn ich meinen Werbeblocker einschalte, bekommen Sie mehr Geld. Und was bekomme ich? Mehr Werbung! Die will ich aber nicht.
Sind werbefinanzierte Websites kostenlos?
Ihr Vorschlag ist aber nicht nur der Versuch durch einen simplen Appell an mehr Geld zu kommen, er zielt auch noch exakt in die falsche Richtung. Sie behaupten zwar, dass Ihre Webseiten für mich derzeit kostenlos wären, das sind sie aber nicht – und zwar, gerade weil noch nicht alle Leser einen Werbeblocker installiert haben.
Werbung kostet Geld, auf Ihren Seiten sogar viel Geld. Diese Kosten werden freilich auf die Produkte umgelegt, durch deren Kauf ich also jene Werbung finanziere, die ich mit meinem Werbeblocker dann wiederum ausblende. Im Falle eines Autos waren das bereits im Jahr 2003 laut Spiegel 500 Euro pro verkauftem Fahrzeug.
Für Ihr Internet-Angebot zahle ich folglich schon heute – zwar nicht beim Aufruf Ihrer Internetseiten, dafür aber beim Kauf eines Autos oder eines anderen Produkts. Das bedeutet aber auch, dass nicht ich entscheide, welcher Inhalte-Anbieter mein Geld bekommt, sondern dass die werbenden Konzerne dies stattdessen über die Verteilung frei verfügen können. Dadurch finanziere ich durch den Betrag, um den Werbung die von mir gekauften Produkte verteuert, nicht nur die Online-Zeitungen, die ich lese, sondern auch die Boulevard-Presse. Denn Autokonzerne, um beim Beispiel zu bleiben, schalten sicher auch dort Anzeigen. Diese Medienlandschaft möchte ich aber keineswegs finanzieren, sondern ich will selbst entscheiden, wessen Arbeit und Leistung ich in Anspruch nehme und deshalb bezahle.
Welchen Journalismus hat Werbefinanzierung zur Folge?
Es gibt nicht zu viele, sondern zu wenige Werbeblocker! Nur weil nicht alle Menschen einen Werbeblocker installiert haben, können Sie Ihre vermeintlich kostenlosen Seiten werbefinanziert anbieten. Wir Leser müssen trotzdem bezahlen: beim Erwerb der beworbenen Produkte, die wir ohne die suggestive Kraft der Werbung womöglich gar nicht kaufen würden. Hinzu kommt, dass wir damit jeglichen Einfluss auf die Verteilung unseres Geldes innerhalb der Massenmedien. Doch eben diese Verteilung bestimmt maßgeblich die Medienlandschaft. Der Einfluss der Leser sinkt, der der Werbetreibenden steigt. Für kritischen Qualitätsjournalismus dürfte das problematischer sein als für den Boulevard. Wäre es da nicht besser, Sie würden flächendeckend zur Installation von Werbeblockern aufrufen, damit nicht die Konzerne, sondern die Leser darüber entscheiden, welche Art Journalismus honoriert wird?
Nun, Sie werden erwidern, dass es in der Vergangenheit noch keinem Nachrichtenorgan erfolgreich gelungen ist, seine Inhalte kostenpflichtig anzubieten. Ohne Werbung hätten Sie demnach keine Einnahmen und ich keine Online-Zeitung. Das kann niemand wollen. Bleibt die Frage: Warum liest alle Welt täglich online Nachrichten, aber niemand will dafür bezahlen? Weil es nur Nachrichten sind! Vor Anbeginn des Internet-Zeitalters war ein Zeitungsabonnement notwendig, um eine tägliche Lieferung von DPA-Meldungen zu erhalten, heute kann man diese beinahe gleichlautend auf allen Kanälen empfangen: Online ebenso wie per Printmedien, Radio oder Fernsehen gibt es Agenturmeldungen dutzendfach. Wenn also eine Internet-Zeitung seine Fassung der DPA-Pressemeldung kostenpflichtig anbieten möchte, kann man heute getrost auf andere Angebote ausweichen.
Insofern ist das Internet ein Segen: Für ein kostenpflichtiges Angebot muss man heute mehr bieten als einen Kanon aus vorgefertigten DPA-Meldungen. Im Grunde sind diese mittlerweile gleichgültig. Man kann sie überall lesen. Entscheidend ist, was man darüber hinaus anzubieten hat. Dafür braucht man aber Unabhängigkeit von den Werbetreibenden, damit nicht mehr jeder Auto-Testbericht positiv ausfällt und gut recherchierte, kritische Hintergründe wie zum Beispiel zu den angeblich durch die erneuerbaren Energien verursachten Kosten für neue Stromtrassen nicht nur an beinahe abseitigen Stellen in Printausgaben wie der sonntaz zu lesen sind.
Wem hilft unaufdringliche Werbung?
Wenn Sie nun dazu aufrufen, Werbeblocker zu deaktivieren, dann berauben Sie sich der Möglichkeit eines kritischen Journalismus, der einen bezahlwürdigen Mehrwert bietet. Sie bagatellisieren die Auswirkungen von Werbung auf Ihren Journalismus und auf die Leser. Werbefinanzierung beraubt Sie Ihrer Unabhängigkeit und einiger Freiheitsgrade in Ihrer Tätigkeit. Das zu bestreiten, würde bedeuten, sich nicht um sein Ein- und Auskommen zu kümmern, was sich nur leisten kann, wer finanziell unabhängig ist. Dann aber braucht man keine Werbe-Einnahmen.
Werbung beeinflusst freilich auch Ihre Leserschaft, denn das ist ihr Ziel. Das Versprechen unaufdringlicher Anzeigen, wie Sie es geben, ignoriert hingegen das Grundprinzip jeglicher Werbung: Aufmerksamkeit erheischen! Marketing wird nunmal daran gemessen, wieviele Menschen es erreicht und dann auch zum Kauf verleitet. Unaufdringliche Werbung läuft auf einen schlechen Kompromiss hinaus, bei dem alle verlieren: Der Werbetreibende generiert weniger Aufmerksamkeit und zahlt deshalb weniger für diese Werbeformate. Die Online-Zeitung hat weniger Einnahmen, ist aber dennoch nicht unabhängig. Und der Leser bekommt stromlinienförmigen Journalismus und Werbung zugleich, was er beides nicht möchte.
Für ein kostenpflichtiges Online-Angebot genügt es aber sicherlich nicht, die Printausgabe eins zu eins digital zur Verfügung zu stellen, worin sich dann viele Inhalte des werbefinanzierten Portals wiederholen. Im Internet dominieren nicht vorgefertigte Inhalte, sondern individuelle Zusammenstellungen. Es werden einzelne Musikstücke statt ganzer Alben runtergeladen und kurze Video-Episoden statt abendfüllender Filme angeschaut. Es wird von Seite zu Seite und von Dienst zu Dienst gesprungen, ohne irgendwo lange zu verweilen. Anders als zu Zeiten der gedruckten Tageszeitung ist die Sportseite einer anderen Website eben so schnell zu erreichen wie der Feuilleton des gerade besuchten Online-Angebots. Am aufwändigsten zu erreichen aber sind kostenpflichtige Angebote.